1980 — 1989

Hanno Edelmann im Hamburger Atelier in den 80er Jahren

Endlose Zeit 1980 Gemälde in Mischtechnik auf Leinwand 92/90 cm

Daniel 1980 Gemälde in Mischtechnik auf Leinwand 92/122 cm

Solidarnosc 1982 Gemälde in Mischtechnik auf Leinwand 70/90 cm

Blauer Salon 1989 Oel/Leinwand 65/89 cm

Das Auge 1989 Oel/Leinwand 90/65 cm

Selbst mit Wiener Künstlern 1984 Tempera/Leinwand 138/120 cm
Zu den im letzten Jahr entstandenen großformatigen Gemälden von Hanno Edelmann gehört ein Ölbild mit dem Titel “Selbst mit Wiener Künstlern”, das den Maler in einer imaginären Runde mit vier berühmten Kollegen in surrealer Symbolik darstellt. Ernst Fuchs hält eine Breker-Figur einfühlsam in der Hand, Alfred Hrdlicka ist in einer seiner blockhaften Skulpturen von unheimlicher Expressivität verschränkt, der sanfte Arik Brauer präsentiert in Salome-Gestus einen Teller mit dem Kopf von Joseph Beuys, und Friedensreich Hundertwasser geigt liebevoll mit einem Violinbogen, ohne dass ein Instrument sichtbar ist, wobei lichtes Grün aus seinem geheimnisvollen Tun hervorsprießt…
Die anspielungsreiche Selbstdarstellung spiegelt Edelmanns geistesverwandte Sympathie für solche Künstler, die unbeirrbar ihren eigenen Weg gehen, ihr Werk unabhängig von den herrschenden Trends entfalten und sich nicht in eine bestimmte Richtung einordnen lassen. Künstler, die sich nicht allein auf formale Probleme der Farbe und Komposition beschränken, sondern in ihren tieflotenden Werken eine in die Bereiche des Humanen und Kosmischen hinausweisende Botschaft an ihre Mitmenschen zu vermitteln versuchen„ Eine Botschaft jedoch, die nicht als weltanschauliches Alibi für schlechte Malerei dient — wie das heute so häufig der Fall ist , sondern sich ganz und gar in bildnerischen Formen von starker Eindringlichkeit und Aussagekraft manifestiert.
Bei aller Verschiedenheit von den genannten Wienern, die er meistens gar nicht persönlich kennt, gehört auch der Hamburger Hanno Edelmann zu den immer selteneren Künstlern, die ihren Weg unbeirrt durch vermeintlich aktuelle Strömungen verfolgen, allein ihrem bildnerischen Impuls und inneren Auftrag verpflichtet. Als vor 25 Jahren allerorts Tachismus und Psychografie, action painting und art informel die maßgebliche Kunstszene beherrschten, ließ sich Edelmann nicht von seiner betont figurativen Gestaltung ablenken, die das “Drama Mensch” zum Thema hatte, den Menschen und seine Umwelt den Menschen und sein Fatum, den Menschen und die ihm immanenten Abgründe in Bildern und Zeichnungen vielschichtig veranschaulichte.
Wie ich schon in meinen beiden früheren Ansprachen zu Edelmann-Ausstellungen in Bielefeld 1961 und in Hamburg 1972 sowie auch in meinen Kritiken in der WELT seit 1955 betonte, blieben dennoch stets die für den Künstler entscheidenden Probleme der formalen Realisierung seiner Bildgedanken niemals außer Acht. Im Gegenteil: in Edelmanns durch die Themen Mensch und Landschaft geprägten Werken sind Ausdruck und Ausgewogenheit, Expression und Peinture eine ganz persönliche Symbiose eingegangen, in denen sich malerische und grafische Elemente seiner Studienzeit bei Willem Grimm mit den eigenen, in der Kunst, im Leben und im mediterranen Raum gewonnenen Erfahrungen paaren. Bevor ich zu den hier ausgestellten Arbeiten spreche, die Edelmanns Schaffen zum ersten Mal seit dreizehn Jahren in seiner Vaterstadt zeigen, noch ein paar Worte zu dem Werdegang und Entwicklungsweg des Künstlers. Hanno Edelmann stammt aus einer Familie, in der es eine Reiht bekannter Musiker gab. Schon im Alter von sechs Jahren erhielt er den ersten Violin-Unterricht, fast gleichzeitig begann er mit Begeisterung zu zeichnen und zu modellieren.
Wie Paul Klee schwankte er lange Zeit zwischen Musik und Malerei, ehe er sich — nach eigenen Angaben bereits mit elf Jahren — für den Malerberuf entschied, nicht ohne häusliche Widerstände zu überwinden. Zu einem entscheidenden Ereignis für seine Auffassungen vom Leben in unserer Welt wurde für ihn der Zweite Weltkrieg, den er als Soldat von 1941 bis 1944-in Frankreich und Rußland mitmachte und anschließend von 1944- bis 1948 als Kriegsgefangener in Sibirien auf bittere Weise erlebte. In Rußland entging Edelmann dem Tode durch Erschießen nur um Haaresbreite. In den harten Jahren der Gefangenschaft begann er unter schwierigsten Umständen wieder bildnerisch zu arbeiten. Damals begann ein Weg, wie er mir in einer Skizze seines Lebens einmal schrieb, der teils grausam war in der Erkenntnis der eigenen Ohnmächtigkeit, teils außerordentlich glücklich in der Bewußtwerdung starker geistiger Kräfte. Auch viel später, als er nach seiner Rückkehr aus russischer Gefangenschaft von 1948 bis 1952 an der Hamburger Kunsthochschule am Lerchenfeld bei Willem Grimm studierte, waren seine Studienjahre noch lange Zeit überschattet von den furchtbaren Kriegserlebnissen. Im gefahrlosen Leben in der Heimat fand sich der Künstler zunächst kaum zurecht. Erst ganz allmählich gelangte er zu innerer Ausgewogenheit und eigener Formensprache. Nicht zuletzt wurde die Begegnung mit seiner Frau Erika, die selbst Malerei studiert hatte, dabei zu einem wesentlichen Faktor. Beide bilden bis heute — mehr als dreißig Jahre lang — auch in künstlerischer Hinsicht ein glückliches Team… Was seine Malerei und Grafik anbetrifft, so wurzelt Hanno Edelmann auf der einen Seite in den kantigen Formen des holzschnitthaften deutschen Expressionismus, auf der anderen Seite in einer höchst differenzierten Peinture, die ihm einst durch Willem Grimm vermittelt wurde und die er dann eigenständig weiterentwickelte. Seine Darstellungsweise umspannt einen weiten Spielraum von entlarvenden zeitkritischen Szenen bis zu malerischen Schilderungen einer ausgewogenen Welt der Spannung und Harmonie, der er auf vielen Reisen zunächst in Griechenland und später in Italien begegnete und die ihm besonders auf Kreta und in Venedig wesentliche Anregungen gab. Doch nicht nur thematisch ist Edelmanns Schaffen weitgespannt. Auch in technischer Hinsicht aufaßt es ganz verschiedene Bildgattungen: Gemälde, Aquarelle, Radierungen, Holzschnitte, Farblithos und schließlieh auch Plastiken in Gips und Bronze.
Den Schwerpunkt der hier ausgestellten Werke bilden die großformatigen Gemälde aus den letzten Jahren, in denen Edelmann einen neuen Höhepunkt seines bisherigen Schaffens erreicht. Sie sind von vielschichtigen ikonografischen Bildgedanken voller Hintergründigkeit und Symbolik erfüllt. Jedes dieser Bilder hat eine lange Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte, die sich dem Betrachter nur in geduldigem Einfühlungsvermögen zu erschließen vermag. Doch auch schon auf den ersten Blick bieten sie ihm mancherlei fesselnde Aspekte, die aus der immanenten Magie der Figuren und Dinge und ihrer malerisch nuancierten Komposition resultiert.
Neben zeitkritischen Werken wie zum Beispiel “Gesellschaftsspiele” oder “II Papa” finden sich rein malerische Huldigungen an die Schönheit und Harmonie wie der “Traum von Venedig” oder “Les Demoiselles”, zwei junge Frauen auf dem Sofa mit einem Flair von Modigliani. Eine in “letzter Zeit entwickelte neue Gattung im Schaffen von Edelmann bilden seine Künstlerbildnisse, in denen er nicht nur die Betreffenden selbst darstellt, sondern auch seine eigenen Empfindungen zu deren Werk und Persönlichkeit. Das Gemälde mit dem Titel “Die Welt des Professors G.” zeigt den heute achtzigjährigen Lehrer Willem Grimm mit den bezeichnenden Attributen eines jungen Modells, eines englischen Porzellanhundes und einer Rummelpottszene. Auch Paul Wunderlich und Peter Blake hat Edelmann treffend und anspielungsreich geschildert, denen einen in seiner pophaften Pin-up- und Buttonwelt, den andere mit den Attributen Mädchenakt, Rose, Bullterrier, Fotolinse, und Zettelkasten mit den Quellen seines spezifischen Manierismus. Die eigene Lebenswelt von Edelmann findet in dieser Auswahl — neben dem bereits genannten Selbstbildnis mit Wiener Künstlern — in Gemälden wie “Ganz in Blau” oder “Großes Atelierbild” ihren vielschichtigen Ausdruck, auf denen seine Frau, sein Hund, “Zettels Traum” von Arno Schmidt — eine Lieblingslektüre des Ehepaares — sowie ein Venedigbild auf der Staffelei und ein Pierrot hinter dem Vorhang auftauchen. Obwohl Edelmanns Bilder auch mancherlei literarische Anspielungen enthalten, sind sie niemals literarisch im engeren Sinne. Stets geht es dem Künstler in erster Linie um die bildnerische Realisierung seiner Bildgedanken, der sich die jeweiligen Anlässe unterzuordnen haben.
Obwohl Edelmann Vorwiegend ein Figurenmaler ist, der sich am stärksten im Ölbild und in der Grafik manifestiert, hat er auch ganz verschiedenartige Landschaften und Stilleben geschaffen, die in dieser Ausstellung besonders im Medium des Aquarells vertreten sind. In seiner Druckgrafik vereint der Künstler Altmeisterliches mit Expressivem, Motive aus dem Alten Testament mit surrealen Visionen oder Impressionen aus Venedig. “Wie Sie sich vielleicht erinnern, standen wir früher stark unter dem Eindruck unseres Griechenland-Erlebnisses”, schrieb mir Edelmann am 16.April dieses Jahres in seiner großen kalligrafischen Handschrift auf Zeichenbögen. “Seit 1979 erlebten wir nun aber Italien. Wir sind weit umhergekommen in diesem Land, vor dem wir uns frühen scheuten. Besonders Venedig, die erste italienische Stadt, die wir kennenlernten, wurde für uns sehr wichtig. Am Ende unserer letzten Reise nach Griechenland waren wir total enttäuscht von der Veränderung, die der Tourismus dort bewirkt hatte, kauften uns kurz entschlossen ein italienisches Sprachbuch und lernten auf diese Weise die ersten Sätze, um uns wenigstens verständlich machen zu können. Und dann kam Venedig: eine Offenbarung. Was wir in Griechenland nirgends erlebten, überströmte uns nun. Hier galten Kunst und Künstler etwas. Bis Palermo wurde uns immer wieder Interesse und Freundschaft entgegengetragen. Es konnte nicht ausbleiben, daß sich unter diesem neuen starken Eindruck auch die Arbeiten veränderten. Die vorher schweren Farben und Formen wichen einer helleren Palette und menschlicheren Figuren. Plastiken entstehen, wenn eine Idee nicht so gut durch Malerei realisiert werden kann, aber beide Formen können gegenseitige Anregung bedeuten…”
Im Jahre 1983 hat Edelmann vorwiegend Plastiken geschaffen. Auch in seinen Plastiken, die mit malerischem Empfinden modelliert sind, kommt seine motivische Vielschichtigkeit und Hintergründigkeit zum Ausdruck. Auch in ihnen finden sich metamorphosenreiche Anspielungen aus den Bereichen des Mythos, der Legende, der Dichtung und der Kunstgeschichte. “Adam und Eva”, “Philemon und Baucis”, der “Gestürzte Ikarus”, “Franciscus und der Aussätzige”, “Der große Mantel” — eine zeitgenössische Variante der Schutzmantelmadonna -, aber auch dreidimensionale Bildnisse von Rodin und Camille Claudel, von Beuys, Wunderlich und Horst Janssen bilden dafür fesselnde Beispiele, auf die ich abschließend hinweisen möchte.
Vor zwei Jahren schrieb Hanno Edelmann anlässlich einer großen Ausstellung seines Schaffens in Düsseldorf — in Hamburg waren seine Arbeiten seit 1972 nicht mehr öffentlich zu sehen; die folgenden Worte, die für ihn, sein Wesen und sein Werk bezeichnend sind und mit denen ich meine Einführung beenden will:
“Frühe Träume erfüllen sich, das Alter reduziert Erwartungen, vertieft die Selbstkritik. Einsamkeit mit dem geliebten Menschen ist wichtiger als öffentlicher Ruhm. Freunde ersetzen ein Volk, das Kunst nicht braucht, sie nicht schätzt, als überflüssig empfindet. Bescheidenheit ist Reichtum. Die Kunst ist absolut.”
Prof.Dr.Hans Theodor Flemming, 8.Mai 1985

Carnevale di Venezia 1985 Tempera/Leinwand 155/460 cm
Der Künstler hat das Wort
.Die,Welt als Bühne, Theater, das scheinbar der Unterhaltung dient. Die Bühne, die aber in Wahrheit die ganze Welt zeigt. Eine Welt, die nicht erfreulich ist. Masken und Menschen in Verkleidung locken die fröhliche Gesellschaft in eine Welt des Scheins. Eine Groteske mit dem Blick auf das Grauen. Commedia dell’arte als Aussagemittel und der Harlekin als Mahner. Über allem der Zauber venezianischer Stegreifkomödien. Nicht Schauspieler, nicht Stars, sondern namenlose Darsteller zeigen, was sie können. Jeder wählt sich seine eigene Rolle. Pantalone, il Dottore, l’arlec-chino, Brighella, Rosina oder Rosaura beherrschen das Scenario. Jeder erfindet seine eigenen Monologe und Dialoge und bejubelt die Einfälle der anderen, die Schwächen der Nachbarn auf der Bühne darzustellen. Tage der Ausgelassenheit, Tage der möglichen Wahrheit. Ungebundenes Leben und Sorglosigkeit. Lärm und Witz, der Charmeur steht in der Gunst des Publikums, das den Narren liebt in der Phantasie. Morgen beginnt wieder der Ernst des Lebens. Die Versuchung lauert an den Ecken im Zwiespalt der großen Liebe. Die Schulden werden vergessen. Pantalone zählt sein Geld und wirft .ein paar Goldmünzen auf den Tisch für die Armen. Er war verloren und gerettet zugleich. Der Gondoliere muß seine Frau und die zahlreichen Kinder ernähren. Der Geiger war gekommen, die Sängerinnen verlassen geräuschvoll die Oper in ihren prächtigen Gewändern. Auch die Paläste am canale grande gleichen Kulissen, auch sie tragen Masken, hinter denen sich Komfort und Annehmlichkeiten nur den Mächtigen bieten. Das kecke Stubenmädchen hat keinen Anteil daran, keine nostalgischen Gefühle ändern ihr Zimmer zum finsteren Hof, Höhlen ohne Licht mit Luft seit Jahrzehnten. Kälte und Feuchtigkeit in den Monaten des Winters sind die größten Plagen heute noch wie einst die Pest.
Eine Strafe für diese märchenhafte Stadt in der Lagune, die gebaut wurde auf abertausend Pfählen mitten im Meer? Die schönste Stadt der Welt mit dem Makel der Frivolität, den goldenen Schnitt zu verleugnen. Der Palast des Dogen raubt dem Besucher den Atem, seine Fenster verstoßen gegen das Ideal abendländischer Architektur. Sie liegen unterschiedlich hoch und widersprechen der Kunst der Antike und der Renaissance gleichermaßen. Die Geschichte dieser Königin unter den bedeutendsten Städten bewegte einstmals die Welt, ihr Atem ist heute noch zu spüren. Der Papst schickte die venezianischen Truppen nach Konstantinopel, der christlichen Stadt. Sie raubten die Schätze und plünderten die Stadt. Vier Pferde in Bronze, vergoldet, zeugen davon. Über dem Portal der Markuskirche fanden sie ihren Platz. Wofür ein Zeugnis? Hinter den Kulissen der reichen Paläste scheint Venedig ein Elendsviertel von bewegender Schönheit. Der Palast des Dogen, das Hauptquartier einer tyrannischen Oligarchie, die das Volk mit der Zuchtrute regierte. Einige wenige Familien nur gehörten zu den Ehrenwerten, die die Gesetze erließen, fürchtend jegliche Konkurrenz. In ihren Kreis aufgenommen zu werden, war fast unmöglich. Der Doge, der Vorsitzende dieser Phalanx, der allmächtige Mann, nicht er herrschte, die Kaufleute waren es, die die Macht in ihren habgierigen Händen hielten. Je weniger Macht er hatte, desto mehr wurde er vom Volke verehrt, aber in seinem Namen wurde gehandelt und gerichtet. Seine Elitetruppen raubten das Eigentum anderer, über die Seufzerbrücke trat der politisch Verurteilte den schweren Gang an zu den berüchtigten Bleikammern, um Venedig niemals wiederzusehen. Der Kaufmann, der Bäcker, die Schlachter leisteten Sklavendienste zum Ruhm der herrlichen Stadt — oder um den Reichtum der ehrenwerten Familien zu mehren?
Das Volk lehnte sich auf, es revoltierte. Denunziationsbriefkästen gaben den zitternden Mächtigen die Möglichkeit, Aufrührer und Unliebsame ohne Verhandlung zu richten. Die politische Größe schwand dahin in dem Maße, in dem der den Reichtum bringende Gewürzhandel versiegte. Die Macht schmolz, ungläubig fiel das Regime ins Extrem. Träume vergingen, die schwere Hand der Diktatur lastete auf der Stadt.
Nur einmal im Jahr durfte der Venezianer sein, wie er war, sein, was er wollte. Ein Ventil, eingekesselt in wenige Tage’ nur. Das große Spektakel begann, ein Abglanz des Lebens. Eine Vorstellung ohne Rechnung. Die Maske verbirgt den Ketzer, eine Wahrheit am Ende des Traums. Korrupte Staatsbeamte mischten sich unter das Volk. Auch sie hinter den Masken. Ihre Flügel haben Augen, die blicken in alle Winkel, hören mit scharfen Ohren, den Unwillen zu berichten, das Schwert über den Menschen schärfer zu schleifen. Das unschuldig hineingeworfene Kind, in diese Welt, die die Unschuld verlor. Der Zug der Komödianten, sie konnten drei Tage lang sein, wer sie sind. Am Ende der Tod mit versöhnlicher Geste. Aus seinen Händen steigen die Rosen der Liebe in einen Himmel, der sich für kurze Zeit öffnete in Freiheit. Nur die echte Liebe verbirgt nicht das Gesicht.
„Carnevale di Venezia”, das Bildnis dieser Tragikomödie umfängt das umfassende Leben damals wie heute. Der “Bogen umspannt die vergangene Zeit wie die jetzige, die Zeit, in der wir leben. Tiefe Einsichten in den Ruhm und die Schändlichkeit menschlicher Existenz waren Anlaß, dies Bild zu malen. Die Suche nach dem verlorenen Menschenbild starrt dem Be-trachter’ins Gesicht. Der so von Gott geschaffene Mensch in all seiner Nacktheit, der Körper und die Seele nehmen ihm den Atem im Neben- und Miteinander von Schönheit und
Grauen. Arlecchino träumt, seine Flöte vergessend, mit seinen Händen. Obrigkeit schreitet trommelnd mit den Flügel-Augen durch den Raum, Harmlosigkeit nur täuschend. Aus dem Dunkel der Nacht hervor tanzt die Liebe, das Paar, die Maske verschmähend, überwindend die Macht und den Haß. Erleuchtung in tiefer Nacht, in dieser Tiefe des Raumes golden leuchtend die Kirche des Markus, Licht ausstreuend über den ganzen Platz. Widerschein auf den Gesichtern: Hoffnung. Hier darf ich sein, wenn auch hinter der Maske.
Dies Bild aus drei Teilen, das man nicht teilen, nicht trennen kann, ohne den Sinn zu verändern, das einzeln sich selbst verkleinert zu einem Torso, ein Bild ohne Kopf oder Füße. Die Nacktheit der Frau mit der Maske des Vogels gehört dazu wie die Guitarre oder das Mädchen mit dem überladenen Teller voller Früchte und Reichtum der Mächtigen. Die aus dem dunklen Violett scheinenden Paläste, die Masken vorweisend, ebenso wie die Zauberkugel oder die verlorenen Masken und das friedliche Symbol der Tauben sind bedeutende Elemente des Dramas Mensch. Nichts auf dem Bild bleibt beim alten, alles muß fließen. Es gibt keine Umkehr, kein Zurück: Geh in der gleichen Richtung weiter, das tiefe Erlebnis des menschlichen Dramas, wie anders ist es möglich als im geraden Weg zu sich selbst. Von hier aus nur kommt man zur Demut.
Carnevale di Venezia ist eine Metapher für die Summe aller Begegnungen und tiefen Einsichten in die Natur des Menschen und das Ergebnis einer über vierzigjährigen intensiven künstlerischen Arbeit. Das Thema, die vielen hineinkomponierten Motive erhalten ihre Bedeutung durch das Maß der Ergriffenheit des Künstlers von ihnen. An der Form zeigt sich die Qualität, sie ist ein Hinweis auf die Stärke dieser Ergriffenheit, dem Künstler bewußt oder nicht.
Epilog: Eine Freundin, nahezu erblindet, erarbeitete sich in stundenlanger Mühe mit ihrem Okular das Motiv des Todes, aus dessen Händen die Rosen entschweben. Sie stand vor dem Weg zu einer mit dem Tode ringenden Frau. Sie erzählte der Freundin mit ergriffenen Worten von dem sie so bewegenden Motiv. Stark muß dieser Trost sie berührt haben, denn sie starb in Frieden, mit Hoffnung. Ein schöner Dank für den Maler des Bildes.”
Hanno Edelmann