Figürliche Malerei der Deutschen Nachkriegszeit
Die Kunst braucht das Wagnis
. Heute vielleicht mehr als je zu anderen Zeiten. Den Künstlern aber bieten sich, kulturpessimistischem Lamento zum Trotz und opportunistischen Verführungen zur Scham, bedeutende Chancen, solches Wagnis im Sinne eines rechten geistigen, schöpferischen Abenteuers mit Erfolg zu bestehen. Das wird ihnen honoriert schon durch die intensive Diskussion ihrer Schöpfungen als Ausdruckszeichen und Wegmarken einer Menschheitsepoche inmitten verwirrender Problematik.
Selbst der Verketzerung der Gegenwartskunst unter der Pression unduldsamer Cliquen, ja dem Terror totalitärer Mächte entspringt noch ein gewichtiges Plus: die (wenn auch negativ gefaßte) Bestätigung der künstlerischen Existenz, der Freiheit und Wahrhaftigkeit künstlerischen Schaffens.
Diese Situation, recht begriffen, bindet den Künstler allerdings in sehr tiefer, sehr verantwortungsvoller Weise an die Welt. An den Menschen, der sich — in Angst und Ratlosigkeit, leichtfertig ahnungslos um die Konsequenz seiner Hybris — von gespenstischen Kräften umstellt und bedroht sieht. Von daher trifft den Künstler der unausweichliche Ruf, sich aus der Position des L’art pour l’art, des zum Narzißmus kultivierten Individualismus herauszulösen. Was indes nicht ein gesellschaftliches oder weltanschauliches Engagement bedeuten muß.
Ironisches Paradox: Einerseits das in der breiten Öffentlichkeit erstaunlich gewachsene Renommee der Künstler und der Kunst -, bis zur grotesken kommerziellen Verzerrung; andererseits die Isolation, die unverbindliche Subjektivität, in der die Aktion versiegt und die der Kunst in unserem Jahrhundert gewonnene Freiheit in modischer, ästhetizistischer Kleinmünzerei zerbröselt.
Die Kühnheit des Experiments erstarrt in selbstgefälligem Konventikeltum.
Kandinskys mitreißender Gedanke vom Stil und die durch ihn initiierte Bewegung verebben gerade bei denen, die sich auf ihn als den Messias der Modernität berufen und die doch nicht mehr als ein Epigonentum artistisch perfekt und wohlgefällig zur Schau stellen. Avantgarde 59, Avantgarde 60, Avantgarde 61 … Alle Jahre wieder. Manierismus mit Pathos. In der Ars viva begnügt sich eine Gilde junger Talente, geniale Vorbilder und Entwürfe zu variieren und gibt sich dem trügerischen Schlüsse hin, damit neue Ordnungen zu manifestieren.
Diese Gedanken kommen mir um so bestürzender in den Sinn, da ich eine Ausstellung zu präludieren habe.
Gleichwohl, weder schmälern noch schmähen sie das aus Liebe und Leidenschaft zur Kunst entsprungene Vertrauen in die Existenz und Potenz der Kunst, auch und gerade in der Gegenwartskrise. Mitten aus ihr geformt, in sie hineingestellt ist das Werk, das sich hier präsentiert: das Werk Hanno Edelmanns.
In Arbeiten der letzten Jahre, die die Dynamik des Schaffens, den Ernst des Einsatzes und den Prozeß der Reife bezeugen: den unbeirrt von gängigen Tendenzen behaupteten Stil. Aus dem eigenen künstlerischen Gewissen heraus wird hier in Frage gestellt und so zu entscheidender Prägnanz vorgestoßen. Der Mannigfaltigkeit der bildnerischen Phantasie entspricht die Vielschichtigkeit der Bilder, die über die Transparenz in die Transzendenz zielen.
Themen, Motive aus der Wirklichkeit des Augenscheins: sie sind Anlässe und Anstöße zu einem ins Wesentliche überhöhten Ausdruck. Die expressive Dynamik steht in Spannung zur kompositorischen Strenge. Ihr ist auch die immer mehr erreichte Verdichtung des Farbkanons — bei differenzierter Farbigkeit und feinem Gespür für peinture — äquivalent.
Die zunehmend sparsamere Ökonomie der Mittel bedeutet Souveränität in ihrer Beherrschung und Komprimierung des Ausdrucks. Mittelpunkt von Hanno Edelmanns Werk ist — und dies besonders macht es in dem eingangs genannten Sinne erregend aktuell — der Mensch. Der Mensch in der Bedrohung, in der Versuchung, in der Welt zerbrechender Formen. Das — im Bilde aus dem Geist und der Kraft der Kunst bewältigt — gibt dem Oeuvre Hanno Edelmanns packenden Gleichnischarakter.
Paul Theodor Hoffmann 1961
Die Kunst braucht das Wagnis. Heute vielleicht mehr als je zu anderen Zeiten. Den Künstlern aber bieten sich, kulturpessimistischem Lamento zum Trotz und opportunistischen Verführungen zur Scham, bedeutende Chancen, solches Wagnis im Sinne eines rechten geistigen, schöpferischen Abenteuers mit Erfolg zu bestehen. Das wird ihnen honoriert schon durch die intensive Diskussion ihrer Schöpfungen als Ausdruckszeichen und Wegmarken einer Menschheitsepoche inmitten verwirrender Problematik. Selbst der Verketzerung der Gegenwartskunst unter der Pression unduldsamer Cliquen, ja dem Terror totalitärer Mächte entspringt noch ein gewichtiges Plus: die (wenn auch negativ gefaßte) Bestätigung der künstlerischen Existenz, der Freiheit und Wahrhaftigkeit künstlerischen Schaffens.
Diese Situation, recht begriffen, bindet den Künstler allerdings in sehr tiefer, sehr verantwortungsvoller Weise an die Welt. An den Menschen, der sich — in Angst und Ratlosigkeit, leichtfertig ahnungslos um die Konsequenz seiner Hybris — von gespenstischen Kräften umstellt und bedroht sieht. Von daher trifft den Künstler der unausweichliche Ruf, sich aus der Position des L’art pour l’art, des zum Narzißmus kultivierten Individualismus herauszulösen. Was indes nicht ein gesellschaftliches oder weltanschauliches Engagement bedeuten muß. Ironisches Paradox: Einerseits das in der breiten Öffentlichkeit erstaunlich gewachsene Renommee der Künstler und der Kunst -, bis zur grotesken kommerziellen Verzerrung; andererseits die Isolation, die unverbindliche Subjektivität, in der die Aktion versiegt und die der Kunst in unserem Jahrhundert gewonnene Freiheit in modischer, ästhetizistischer Kleinmünzerei zerbröselt. Die Kühnheit des Experiments erstarrt in selbstgefälligem Konventikeltum.
Kandinskys mitreißender Gedanke vom Stil und die durch ihn initiierte Bewegung verebben gerade bei denen, die sich auf ihn als den Messias der Modernität berufen und die doch nicht mehr als ein Epigonentum artistisch perfekt und wohlgefällig zur Schau stellen. Avantgarde 59, Avantgarde 60, Avantgarde 61 … Alle Jahre wieder. Manierismus mit Pathos. In der Ars viva begnügt sich eine Gilde junger Talente, geniale Vorbilder und Entwürfe zu variieren und gibt sich dem trügerischen Schlüsse hin, damit neue Ordnungen zu manifestieren.
Diese Gedanken kommen mir um so bestürzender in den Sinn, da ich eine Ausstellung zu präludieren habe. Gleichwohl, weder schmälern noch schmähen sie das aus Liebe und Leidenschaft zur Kunst entsprungene Vertrauen in die Existenz und Potenz der Kunst, auch und gerade in der Gegenwartskrise. Mitten aus ihr geformt, in sie hineingestellt ist das Werk, das sich hier präsentiert: das Werk Hanno Edelmanns. In Arbeiten der letzten Jahre, die die Dynamik des Schaffens, den Ernst des Einsatzes und den Prozeß der Reife bezeugen: den unbeirrt von gängigen Tendenzen behaupteten Stil. Aus dem eigenen künstlerischen Gewissen heraus wird hier in Frage gestellt und so zu entscheidender Prägnanz vorgestoßen. Der Mannigfaltigkeit der bildnerischen Phantasie entspricht die Vielschichtigkeit der Bilder, die über die Transparenz in die Transzendenz zielen. Themen, Motive aus der Wirklichkeit des Augenscheins: sie sind Anlässe und Anstöße zu einem ins Wesentliche überhöhten Ausdruck. Die expressive Dynamik steht in Spannung zur kompositorischen Strenge. Ihr ist auch die immer mehr erreichte Verdichtung des Farbkanons — bei differenzierter Farbigkeit und feinem Gespür für peinture — äquivalent. Die zunehmend sparsamere Ökonomie der Mittel bedeutet Souveränität in ihrer Beherrschung und Komprimierung des Ausdrucks. Mittelpunkt von Hanno Edelmanns Werk ist — und dies besonders macht es in dem eingangs genannten Sinne erregend aktuell — der Mensch. Der Mensch in der Bedrohung, in der Versuchung, in der Welt zerbrechender Formen. Das — im Bilde aus dem Geist und der Kraft der Kunst bewältigt — gibt dem Oeuvre Hanno Edelmanns packenden Gleichnischarakter.
Paul Theodor Hoffmann
Meinen Lebenslauf beschränke ich gern auf die kurze Formel : 1923 geboren, malt und modelliert seitdem. So simpel das auch klingen mag oder frech — mir scheint es eher natürlich, denn man ist ein Maler von Anfang an oder ist es nie. Mir galten der Bleistift, die Farbe, das Schnitzmesser und später, als ich 6 Jahre alt wurde, die Geige mehr als alles andere.
Das Früheste,woran ich mich erinnern kann, ist, daß ich in die kostbare, schwarzlackierte Singer-Nähmaschine meiner Eltern mit einer Nadel Figuren ritzte. Meine Oma, die so schön singen konnte und Opa mit seinem großen, geringelten Schnurrbart fanden auf ihr Platz. Auch ein “Bildnis” von mir kratzte ich dazu. Obwohl ich mir so viel Mühe gegeben hatte, erntete ich keinen Beifall dafür. Statt dessen zog mein Vater mir die Hosen stramm. Vor 4 1/2 tausend Jahren entstand eine Selbstdarstellung — oh nein, sie stammt nicht von mir. Dies Selbstbildnis ist das früheste uns bekannte. Ein Künstler schuf es auf einem Kalksteinrelief in einer Grabkammer nahe der Pyramiden von Sakkra. Fragen Sie mich bitte nicht nach der Ähnlichkeit. Auch Dürers Selbstbildnis als Christus oder Rembrandts als Offizier weisen nur geringe Ähnlichkeit mit ihrem Schöpfer auf. Phidias’ Selbstporträt auf dem Schild der Athena mag da schon ahnlicher geraten sein. Man sieht einen glatzköpfigen Mann mit gewölbter Stirn und gefurchten Zügen inmitten idealisiserter Gesichter der griechischen Krieger. Sehen Sie selbst einmal unter dem Aspekt eines Bildnisses in einen Spiegel oder nehmen einen Konvexspiegel zur Hand wie Parmignianino. Sein Spiel mit verzerrten Perspektiven führte manchmal zur totalen Unkenntlichkeit des Dargestellten oder zu anamorphen Bilderrätseln, wie sie im 16. Jahrhundert so beliebt waren. Mit zwei rechtwinklig zueinandergestellten Spiegeln können Sie Ihr Spiegelbild gar auf den Kopf stellen. Heute nennt man eine Selbstdarstellung schlicht “Selbst”. Das Selbst ist das dankbarste Modell. Es ist jederzeit bereit, sitzt still, badet sich in Licht und Schatten oder füllt Räume. Es macht Fratzen und läßt sich verkleiden. Kunsthistoriker lieben es, weil sich darüber ganze Bücher schreiben lassen. Giacometti reduzierte sich vor dem Spiegel auf eine Linie. Der spanische Maler Botero bläht sich in seinem Selbst zu einem Markenzeichen auf. Der Hamburger Zeichner Horst Janssen füllte, wie er selbst schrieb, mit ihm die Zeiten, in denen ihm nichts einfiel. In meinem Oeuvre gibt es nur wenige dieser Selbst, weil mir immer etwas einfällt. Dafür aber werden Sie in vielen Bildern, auf denen ich Figuren male, meine lange Nase finden. So gesehen, ist jedes Bild von mir auch ein Selbst im Bilde. In der Zeit des großdeutschen Diktators spiegelte sich die Kleinbürgerlichkeit der Machthaber in der Kunst jener Zeit. Zufällig sah ich in der Ausstellung der zur “Entarteten” erklärten Moderne die Windsbraut von Kokoschka und einige Plastiken, die mich lange beschäftigten. Das war das Einzige, was ich von dieser “giftigen” Kunst überhaupt kennenlernen durfte in jener bedrückenden Zeit. Während des Studiums auf der Akademie herrschte um uns herum die abstrakte Kunst — möglicherweise als Reaktion auf die 1000 Jahre primitivsten Naturalismus heroischer Prägung. Wer wie wir dem Gegenständlichen, der Natur als Quelle aller Inspirationen treu blieb, ohne auch nur entfernt naturalistisch zu sein, hatte nichts zu lachen. Beachtung fand sich nur im anderen Lager. Wir schwammen gegen den Strom, ohne zu wissen, ob sich das Blatt jemals wenden würde. Wer hätte damals gedacht, daß sich das wirklich schon zwei Jahrzehnte danach ereignen sollte, als der berühmte Werner Haftmann, einer unserer Lehrer, noch die Weltkunst beschwor. Der Bildhauer Edwin Scharff packte ihn damals zornig an der Brust und polterte: “Wir machen die Kunst, nicht Ihr!” Meine Frau Erika, damals auch Schülerin der gleichen Akademie, stellte ihr Licht unter den Scheffel und wurde meine Muse. Sie gab mir in dieser schwierigen Zeit Mut und Kraft. Ohne sie als meine schärfste Kritikerin wären alle die Bilder und Plastiken nicht so entstanden.
Der englische Maler Gainsborough ließ sich von seinem Diener einen Eichentisch in sein abgedunkeltes Atelier bringen. Mit Sand, Steinen, Korkstücken und Moos simulierte er darauf seine Landschaften. Brokkoli-Gemüse wurde zu Bäumen. Er knetete kleine Figuren aus Wachs, die er kunstvoll in diese Scheinwelt hineinkomponierte. Dann zündete er viele Kerzen an, studierte die Licht- und Schattenverhältnisse und malte wundervolle Bilder danach.
Ein Mann ging langsam seines Weges: Unter dem Arm trug er ein Bild. Plötzlich hob er den Kopf und blickte Ober die Schulter zurück. In diesem Augenblick begannen die Kinder, mit Steinen nach ihm zu werfen. Diesen Bericht über die Steinigung durch die Kinder von Aix gab uns Rainer Maria Rilke in seinen Briefen über Cezanne. Diesem bescheidenen Mann verdankt die Kunst unseres Jahrhunderts mehr als irgendeinem anderen. Für ihn war ein Selbstbildnis nicht bedeutsamer als ein Apfel oder ein Krug. Alles war nur Anlaß für seine Malerei. Renoirs Blumenbilder entstanden nach Papierblumen, weil die nicht welken konnten, denn er malte lange daran. Picasso studierte seine Modelle lange, bevor er dann seine Bildnisse ohne sie malte.
Anders die Welt des Pierre Bonnard. Er untersuchte die Beziehungen der Farben zueinander und ihre Rollen. Orange macht bunt, Grün neutralisiert und Violett schattet, sagte einst Degas zu ihm. Bonnards Töne sind unerhört kühn. Er schaffte eine neue Welt. Die Wolken wurden rot, das Meer grün, und das Laub schimmerte rosa. Früchte, selbst Gebäck und Brot wurden zu Kleinodien der Malerei. Der provencalischen Vase entströmt ein Hauch von saffrangelbem Licht. Er malte seine Empfindungen beim Beobachten. Den ersten Eindruck nie aus den Augen verlieren, sagte er. Dann holte er sein Skizzenheft aus der Tasche und machte Notizen.
Schöpferische Arbeit läßt sich nicht in ein Korsett drängen. Kunsthändler aber lieben es, Künstler wie Markenzeichen zu handeln. Bilder von Bernard Büffet gleich nach dem Kriege, Horst Antes rumpflose Nurkopf-Bilder oder die heute so berühmten Nagelbilder von Ücker, so faszinierend eine einzelne Arbeit dieser Künstler auch sein mag, sind solche dankbaren Objekte.
Anders unsere Bilder : Am frühen Morgen, nach einem guten Frühstück, gehen wir wohlgelaunt ins Atelier. Bringt der Briefträger eine längst fällige Rechnung oder hören wir im Radio, daß schon wieder Menschen umgebracht, ein Flugzeug entführt oder 1000 jährige Bäume gefällt wurden, verdüstert sich schon unser Himmel. Manches davon fließt ein in Bilder oder Plastiken. Wie kann ich also morgen so malen wie heute ?
So entsteht eine eigene Bildwelt. Sie atmet den erregenden Anlaß, das leidenschaftliche Engagement. Wir gehören keiner Schule an und sind ganz darauf bedacht, etwas Persönliches zu schaffen. Eine Mischung aus Phantasie und Verstand, Begeisterung und Strenge, Kühnheit und Vorsicht mit einem Sinn für das Geheimnisvolle, Poesie und Gefühl für die Wirklichkeit.
Gehen Sie durch die Ausstellung ohne sich einzuengen in Schablonen vorgegebener Kunstbetrachtung. Diese Bilder und Plastiken sind Schöpfungen eines Ihrer Zeitgenossen. Sie drängensich nicht auf, aber sie sprechen eine intensive, eigene Sprache. Die Motive Narr und Harlekin, die Masken und der “Carnevale dl Venezia” sind Metaphern unserer Erschütterungen aber auch Freude, die durch Malerei und Plastik sichtbar werden. Beginnen wir ein Bild oder eine Plastik, wissen wir nicht, wohin der Weg uns führt, was sich unterwegs ereignet oder uns berührt. In den Bildern werden keine Geschichten erzahlt, aber es entströmen ihnen Geschichten. Sie sind ein Dialog zwischen dem Raum, in dem wir leben und der Faszination von Farbe und Form. Viele sind in längeren Zeiträumen entstanden. Picasso ließ die Zustande seiner Bilder stehen wie sie waren. Seine jeweilige Gefahrtin kopierte sie, und so entstanden etliche Bilder vom gleichen Motiv. Unsere Zustände verbergen sich unter der oberen, der letzten Farbschicht. Nur Zustandsphotographien zeugen davon.
Nicht die Motive, die Themen machen die Kunst, sondern wie ein Künstler sie mit Farben und Formen realisiert. Was auf den ersten Blick vordergründig erscheint, vertieft sich auf den zweiten. Dreimal hinschauen, sagte einst ein Kritiker zu unseren Arbeiten.
Ruhm ist flüchtig, Wertschätzung und Mißachtung wechseln rasch. Was bleibt, ist die Dramatik der Kunst selbst. Bilder, die wir heute als Meisterwerke ansehen, haben zur Zeit ihrer Entstehung noch Abscheu oder Hohn hervorgerufen. Vielleicht liegt der wichtigste Beitrag eines Künstlers zur Kultur darin, daß er die Welt auf eine neue, unerhörte Art deutet und die Menschen das Wundern lehrt.
Leonardo da Vinci sagte : Will ein Maler Schönes sehen,
das ihn hinreißt, so vermag er es selbst zu schaffen. Will er
Dinge sehen, die grotesk sind oder lächerlich oder wahrhaft
mitleiderregend, so gebietet er als Herr auch über sie. Was
das Universum in Wirklichkeit oder in der Phantasie auch berge, er hat es zuvörderst im Kopfe, dann in der Hand.
Meinen Lebenslauf beschränke ich gern auf die kurze Formel : 1923 geboren, malt und modelliert seitdem. So simpel das auch klingen mag oder frech — mir scheint es eher natürlich, denn man ist ein Maler von Anfang an oder ist es nie. Mir galten der Bleistift, die Farbe, das Schnitzmesser und später, als ich 6 Jahre alt wurde, die Geige mehr als alles andere.
Das Früheste,woran ich mich erinnern kann, ist, daß ich in die kostbare, schwarzlackierte Singer-Nähmaschine meiner Eltern mit einer Nadel Figuren ritzte. Meine Oma, die so schön singen konnte und Opa mit seinem großen, geringelten Schnurrbart fanden auf ihr Platz. Auch ein “Bildnis” von mir kratzte ich dazu. Obwohl ich mir so viel Mühe gegeben hatte, erntete ich keinen Beifall dafür. Statt dessen zog mein Vater mir die Hosen stramm. Vor 4 1/2 tausend Jahren entstand eine Selbstdarstellung — oh nein, sie stammt nicht von mir. Dies Selbstbildnis ist das früheste uns bekannte. Ein Künstler schuf es auf einem Kalksteinrelief in einer Grabkammer nahe der Pyramiden von Sakkra. Fragen Sie mich bitte nicht nach der Ähnlichkeit. Auch Dürers Selbstbildnis als Christus oder Rembrandts als Offizier weisen nur geringe Ähnlichkeit mit ihrem Schöpfer auf. Phidias’ Selbstporträt auf dem Schild der Athena mag da schon ahnlicher geraten sein. Man sieht einen glatzköpfigen Mann mit gewölbter Stirn und gefurchten Zügen inmitten idealisiserter Gesichter der griechischen Krieger. Sehen Sie selbst einmal unter dem Aspekt eines Bildnisses in einen Spiegel oder nehmen einen Konvexspiegel zur Hand wie Parmignianino. Sein Spiel mit verzerrten Perspektiven führte manchmal zur totalen Unkenntlichkeit des Dargestellten oder zu anamorphen Bilderrätseln, wie sie im 16. Jahrhundert so beliebt waren. Mit zwei rechtwinklig zueinandergestellten Spiegeln können Sie Ihr Spiegelbild gar auf den Kopf stellen. Heute nennt man eine Selbstdarstellung schlicht “Selbst”. Das Selbst ist das dankbarste Modell. Es ist jederzeit bereit, sitzt still, badet sich in Licht und Schatten oder füllt Räume. Es macht Fratzen und läßt sich verkleiden. Kunsthistoriker lieben es, weil sich darüber ganze Bücher schreiben lassen. Giacometti reduzierte sich vor dem Spiegel auf eine Linie. Der spanische Maler Botero bläht sich in seinem Selbst zu einem Markenzeichen auf. Der Hamburger Zeichner Horst Janssen füllte, wie er selbst schrieb, mit ihm die Zeiten, in denen ihm nichts einfiel. In meinem Oeuvre gibt es nur wenige dieser Selbst, weil mir immer etwas einfällt. Dafür aber werden Sie in vielen Bildern, auf denen ich Figuren male, meine lange Nase finden. So gesehen, ist jedes Bild von mir auch ein Selbst im Bilde. In der Zeit des großdeutschen Diktators spiegelte sich die Kleinbürgerlichkeit der Machthaber in der Kunst jener Zeit. Zufällig sah ich in der Ausstellung der zur “Entarteten” erklärten Moderne die Windsbraut von Kokoschka und einige Plastiken, die mich lange beschäftigten. Das war das Einzige, was ich von dieser “giftigen” Kunst überhaupt kennenlernen durfte in jener bedrückenden Zeit. Während des Studiums auf der Akademie herrschte um uns herum die abstrakte Kunst — möglicherweise als Reaktion auf die 1000 Jahre primitivsten Naturalismus heroischer Prägung. Wer wie wir dem Gegenständlichen, der Natur als Quelle aller Inspirationen treu blieb, ohne auch nur entfernt naturalistisch zu sein, hatte nichts zu lachen. Beachtung fand sich nur im anderen Lager. Wir schwammen gegen den Strom, ohne zu wissen, ob sich das Blatt jemals wenden würde. Wer hätte damals gedacht, daß sich das wirklich schon zwei Jahrzehnte danach ereignen sollte, als der berühmte Werner Haftmann, einer unserer Lehrer, noch die Weltkunst beschwor. Der Bildhauer Edwin Scharff packte ihn damals zornig an der Brust und polterte: “Wir machen die Kunst, nicht Ihr!” Meine Frau Erika, damals auch Schülerin der gleichen Akademie, stellte ihr Licht unter den Scheffel und wurde meine Muse. Sie gab mir in dieser schwierigen Zeit Mut und Kraft. Ohne sie als meine schärfste Kritikerin wären alle die Bilder und Plastiken nicht so entstanden.
Der englische Maler Gainsborough ließ sich von seinem Diener einen Eichentisch in sein abgedunkeltes Atelier bringen. Mit Sand, Steinen, Korkstücken und Moos simulierte er darauf seine Landschaften. Brokkoli-Gemüse wurde zu Bäumen. Er knetete kleine Figuren aus Wachs, die er kunstvoll in diese Scheinwelt hineinkomponierte. Dann zündete er viele Kerzen an, studierte die Licht- und Schattenverhältnisse und malte wundervolle Bilder danach.
Ein Mann ging langsam seines Weges: Unter dem Arm trug er ein Bild. Plötzlich hob er den Kopf und blickte Ober die Schulter zurück. In diesem Augenblick begannen die Kinder, mit Steinen nach ihm zu werfen. Diesen Bericht über die Steinigung durch die Kinder von Aix gab uns Rainer Maria Rilke in seinen Briefen über Cezanne. Diesem bescheidenen Mann verdankt die Kunst unseres Jahrhunderts mehr als irgendeinem anderen. Für ihn war ein Selbstbildnis nicht bedeutsamer als ein Apfel oder ein Krug. Alles war nur Anlaß für seine Malerei. Renoirs Blumenbilder entstanden nach Papierblumen, weil die nicht welken konnten, denn er malte lange daran. Picasso studierte seine Modelle lange, bevor er dann seine Bildnisse ohne sie malte.
Anders die Welt des Pierre Bonnard. Er untersuchte die Beziehungen der Farben zueinander und ihre Rollen. Orange macht bunt, Grün neutralisiert und Violett schattet, sagte einst Degas zu ihm. Bonnards Töne sind unerhört kühn. Er schaffte eine neue Welt. Die Wolken wurden rot, das Meer grün, und das Laub schimmerte rosa. Früchte, selbst Gebäck und Brot wurden zu Kleinodien der Malerei. Der provencalischen Vase entströmt ein Hauch von saffrangelbem Licht. Er malte seine Empfindungen beim Beobachten. Den ersten Eindruck nie aus den Augen verlieren, sagte er. Dann holte er sein Skizzenheft aus der Tasche und machte Notizen.
Schöpferische Arbeit läßt sich nicht in ein Korsett drängen. Kunsthändler aber lieben es, Künstler wie Markenzeichen zu handeln. Bilder von Bernard Büffet gleich nach dem Kriege, Horst Antes rumpflose Nurkopf-Bilder oder die heute so berühmten Nagelbilder von Ücker, so faszinierend eine einzelne Arbeit dieser Künstler auch sein mag, sind solche dankbaren Objekte.
Anders unsere Bilder : Am frühen Morgen, nach einem guten Frühstück, gehen wir wohlgelaunt ins Atelier. Bringt der Briefträger eine längst fällige Rechnung oder hören wir im Radio, daß schon wieder Menschen umgebracht, ein Flugzeug entführt oder 1000 jährige Bäume gefällt wurden, verdüstert sich schon unser Himmel. Manches davon fließt ein in Bilder oder Plastiken. Wie kann ich also morgen so malen wie heute ?
So entsteht eine eigene Bildwelt. Sie atmet den erregenden Anlaß, das leidenschaftliche Engagement. Wir gehören keiner Schule an und sind ganz darauf bedacht, etwas Persönliches zu schaffen. Eine Mischung aus Phantasie und Verstand, Begeisterung und Strenge, Kühnheit und Vorsicht mit einem Sinn für das Geheimnisvolle, Poesie und Gefühl für die Wirklichkeit.
Gehen Sie durch die Ausstellung ohne sich einzuengen in Schablonen vorgegebener Kunstbetrachtung. Diese Bilder und Plastiken sind Schöpfungen eines Ihrer Zeitgenossen. Sie drängensich nicht auf, aber sie sprechen eine intensive, eigene Sprache. Die Motive Narr und Harlekin, die Masken und der “Carnevale dl Venezia” sind Metaphern unserer Erschütterungen aber auch Freude, die durch Malerei und Plastik sichtbar werden. Beginnen wir ein Bild oder eine Plastik, wissen wir nicht, wohin der Weg uns führt, was sich unterwegs ereignet oder uns berührt. In den Bildern werden keine Geschichten erzahlt, aber es entströmen ihnen Geschichten. Sie sind ein Dialog zwischen dem Raum, in dem wir leben und der Faszination von Farbe und Form. Viele sind in längeren Zeiträumen entstanden. Picasso ließ die Zustande seiner Bilder stehen wie sie waren. Seine jeweilige Gefahrtin kopierte sie, und so entstanden etliche Bilder vom gleichen Motiv. Unsere Zustände verbergen sich unter der oberen, der letzten Farbschicht. Nur Zustandsphotographien zeugen davon.
Nicht die Motive, die Themen machen die Kunst, sondern wie ein Künstler sie mit Farben und Formen realisiert. Was auf den ersten Blick vordergründig erscheint, vertieft sich auf den zweiten. Dreimal hinschauen, sagte einst ein Kritiker zu unseren Arbeiten.
Ruhm ist flüchtig, Wertschätzung und Mißachtung wechseln rasch. Was bleibt, ist die Dramatik der Kunst selbst. Bilder, die wir heute als Meisterwerke ansehen, haben zur Zeit ihrer Entstehung noch Abscheu oder Hohn hervorgerufen. Vielleicht liegt der wichtigste Beitrag eines Künstlers zur Kultur darin, daß er die Welt auf eine neue, unerhörte Art deutet und die Menschen das Wundern lehrt.
Leonardo da Vinci sagte : Will ein Maler Schönes sehen, das ihn hinreißt, so vermag er es selbst zu schaffen. Will er Dinge sehen, die grotesk sind oder lächerlich oder wahrhaft mitleiderregend, so gebietet er als Herr auch über sie. Was das Universum in Wirklichkeit oder in der Phantasie auch berge, er hat es zuvörderst im Kopfe, dann in der Hand.