Bronzeplastiken
Trommler 1983
Bronzeplastik höhe 35 cm
Ohrensessel 1985
Bronzeplastik höhe 33 cm
Horst Janssen 1995
Bronzeplastik höhe 45 cm
Flüsterer 2001
Bronzeplastik höhe 31 cm
Schachspiel 2001
Bronzeplastik höhe 26 cm
Juliette 2001
Bronzeplastik höhe 22 cm
Flüsterer
Bronzeplastik höhe 180 cm
Eine größere Auswahl von Bronzeplastiken finden Sie hier
Gedanken über einen Weg zur Plastik
Man spricht heute, wenn man an plastische Kunst denkt, von Konstruktionen Objekten, Assemblagen oder Environments u. deutet damit die erweiterten Möglichkeiten an, mit denen Raum ausgelotet werden soll. Ganz anders in der Zeit der berühmten 20er Jahre.
Alle diese Begriffe existierten noch nicht, schon gar nicht in meinem vierjährigen Dasein. Ich fing schon früh an, meine nähere Umgebung durch Kritzeleien unsicher zu machen. Ein Objekt war die glänzend schwarzlackierte u. mit goldenen Ornamenten verzierte Singer- Nähmaschine, die im elterlichen Wohnzimmer stand u. mich reizte, mit einer teuren Nähnadel Figuren in den Lack zu ritzen.
Oma fand auf ihr Platz — sie konnte so schön singen — und Opa, der seinen mächtigen Schnurrbart nächtens aus einem mir unerfindlichen Grunde mit einer Bartbinde festmachte, deren Bänder um die Ohren gewickelt wurden. Seine vielen gekräuselten Haare füllten einen Teil der schwarzglänzenden Fläche. — Verständlicherweise hatten die Eltern wenig Sinn für dieses Kunstwerk, wo sowieso nur Musik in unserem Haus ernstgenommen wurde.
Auch die morgendliche Buchweizengrütze, die mir ein Greuel war, und die wir, meine wenig ältere Schwester u. ich auf einem hohen Sofa ‚behängt mit Spitzen feinster Art, sitzend, essen mußten, bekam ihren Reiz nur dadurch, daß sich mit dem dunkelbraunen Sirup Figuren darauf träufeln ließen.
Vier Jahre alt, bewohnten wir eine kleine Wohnung in einem sehr alten Haus in einer sehr alten Straße mit vielen solchen alten Häusern mitten in einem sehr alten Stadtteil Hamburgs. Treppen wie Hühnerstiegen steil, führten in die Zweizimmerwohnung mit entsetzlich kleiner Küche. Ein hoher Torweg führte in die Hinterhäuser, in denen alles noch viel kleiner war u. noch billiger. Hier in diesem Torweg, der gewöhnlich unser Spielplatz war, erfuhr ich so etwas wie eine Berufung zum Bildhauer.
Meine Schwester durfte schon in das große Schulhaus gehen, wo ein riesiger Elefant ausgestopft im Treppenhaus stand. Traurig hockte ich im Torweg. Ein Hund hockte sich vor mich hin und machte sein Häufchen. Fasziniert starrte ich auf diesen kleinen Turm der da kerzengerade stehen blieb. unten ein wenig geringelt, glich dieser Haufen einer Matrone mit geblähten Röcken. Obendrauf hatte sich die Spitze ein wenig geringelt, als wären Kopf u. Haare entstanden. Meine totale Hinwendung zum gegenständlichen schien vollkommen.
Abstrakte Gedanken kräuselten die Wellen meines kindlichen Bewusstseins nicht, kein Objekt war hier entstanden, sondern ein kleiner Mensch. Noch heute befällt mich das gleiche erschauernde Gefühl, wenn es mir gelingt, ein kleines Menschlein aus Ton erstehen zu lassen. Tagelang versuchte ich damals, das Hundekotmenschlein nachzuformen. In späteren Jahren wurde manche Rinde, manches Stück Holz zu Liegenden, Sitzenden oder auch nur zu Schachfiguren.
Das Schulpult, wir saßen eingeklemmt zwischen Bank u. Pult, die fest miteinander verbunden waren, sah bald aus wie ein Acker, mit Bauern, Hühnern u. Vögeln, die ich hineingeschnitzt hatte. Hier half nur die Phantasie u. ein glücklicher Zufall, der mir einen sehr musischen Lehrer bescherte — lebte ich doch nur zwischen Kauern und steinernen Torbögen u. Straßen — die Figuren zu erfinden, zu schnitzen u. am Ende nicht einmal bestraft zu werden dafür, wie es mir später erging, als die Nazis ihn fortgeholt hatten.“Narrenhände beschmutzen Tisch und Wände” mußte ich dann viele Male schreiben. Mit dem Fortgang dieses Lehrers, mit dem ich glückliche Geigenstunden erlebte, begrub. ich damals meinen brennenden Wunsch, Musiker zu werden.
Nun begann eine recht traurige Zeit. Zackige Lehrer, Rohrstock u. Strafarbeiten verdunkelten von nun an den Rest meiner Schulzeit. meine Pultschnitzereien brachten mir eine 4 im Zeichnen ein. Ich träumte vor mich hin, zeichnete wann ich konnte für mich allein, und wenn ich etwas Papier vom Großvater bekam.
Ein Schatten war auf mein Leben gefallen. Ich erlebte die folgende Zeit mehr im Traum, der mich beschützte. Ich träumte davon, gegen alle Widerstände einmal ein großer Künstler zu werden, zu dem die, die mich quälten, aufblicken mussten.
Heller waren nur die Abende, in denen ich damals schon als 10jähriger zum Zeichnen in die Kunstschule gehen durfte.
Damals zeichnete ich den ganzen Requisitenraum leer. Ein Gerippe ebenso wie eine ausgestopfte deutsche Dogge, ein lädiertes Kruzifix, eine sich mächtig blähende Eule und viel anderes Getier. Ich zeichnete schnell und konzentriert. Die erwies sich aber als Fehler, denn übrig blieben nun nur noch die in Gips nachgegossenen Köpfe, Reliefs und griechischen Figuren, und schließlich blieb auch ich weg und war wieder für mich allein.
Allein, bis sich eine kleine Gruppe jüngerer Künstler für mich interessierte. Bei diesen erlebte ich eine Welt, mit dem der bei uns im Wohnzimmer hängende Druck der Toteninsel von Böcklin, ein damals höchst beliebtes Bild — man fühlte sich bei Freunden immer gleich zuhause, weil’s auch dort hing, in keiner Weise konkurrieren konnte.
Ein verwirrender Dachboden, zahllose Türen, überall Ateliers, große Fenster, aus denen sich ein Panorama der ganzen Stadt erblicken ließ und ein Sofa, auf dem ein karminroter Teppich ausgebreitet lag, ein später oft von mir gemaltes Motiv, versetzten mich in einen traumhaften Zustand. Bei diesem lustigen Völkchen erlebte ich zum ersten Mal, dass meine Bilder ernst genommen wurden. Sie nahmen mich, obwohl viel zu jung, ein Jahrzehnt trennte uns, in ihren Kreis auf.
Dieses Glück dauerte nicht lange. Die vorgesehenen Stunden des Aktzeichnens, an denen ich teilnehmen sollte, gefielen meinem Vater gar nicht. Er sah mich wohl schon in großer Verkommenheit mit brotloser Kunst, wie er meinte, auf irgendeinem Dachboden verhungern. Auch stand dies seinen Plänen im Wege, aus mir einen Architekten zu machen. Also ließ er mich kurzerhand von einem renommierten Architekten prüfen, bei dem mir aber nichts besseres einfiel, als ihn und alle seine Mitarbeiter zu ihrem großen Entzücken zu portraitieren. Sie sahen schnell ein, dass in mir ein Maler verloren gegangen wäre und schenkten mir zum Abschied einen Ölmalkasten, der mich sehr glücklich, meinen Vater aber missmutig machte.
Während der Jahre meiner Kunstschulabendzeichnerei streunte ich heimlich, wenn der Professor sich für eine Weile in sein eigenes Atelier zurückgezogen hatte, durch die vielen Schülerateliers. Ich sehe noch deutlich die naturalistischen, glatten, glänzenden Bilder vor mir, deren Vorbilder die damals berühmten Künstler des Tausendjährigen Reiches waren. Hier hingen versammelt die kleinen Ziegler, die Padua, die Sepp Hilz. Die pflügenden Bauern im Abendrot, die Mütter am Herd, die Babys säugend, die Hitlerjungen und die liegenden und stehenden Akte mit strammen Schenkeln. Verwirrender und bedeutend interessanter die Bildhauer-Klassen.
Nicht die großen, nach Thorak und Breker aussehenden, sondern die kleinen Figuren fesselten mich. Auf dem Boden, auf den Regalen lagen und standen Köpfe, Beine, Bäuche und einige rätselhafte Formen, die gar nichts zu bedeuten schienen. Hier hätte ich zeichnen mögen, aber das war verboten, und wir waren ja zum Gehorsam erzogen worden. Die folgende Zeit liegt für mich, was die Bildhauerei betrifft, ein wenig im Dunkeln. Für “Führer und Vaterland”, mir damals schon recht nebulöse Begriffe, opferte ich einen beträchtlichen Teil meiner Jugend.
Die nächste Figur, an die ich mich erinnern kann, entstand in einer Erdbaracke in Sibirien, wohin mich der “Vaterlandsdienst” verschlagen hatte. Krank geworden, war ich für ein paar Tage tagsüber allein in diesem dunklen, unterirdischen Raum. Eine winzige Glühbirne erhellte notdürftig den kleinen Platz in einer Ecke, an dem ich mit Ton, den ich aus der Töpferei des Lagers gestohlenen hatte, eine etwa 2o cm. hohe Figur formte
Es gelang mir nicht mehr, alles zu verbergen, als der Kommandant vor mir stand, ein kleiner russischer General, der mit einer Kommission das Lager inspizierte. Bestrafung für den Ton- Diebstahl gewärtigend, Essenentzug und Strafarbeit, vielleicht Karzer, war ich überaus betroffen. Doch statt mich zu bestrafen, staunte dieser Herr, klatschte in die Hände und rief: ” ein kleiner Mensch, ein kleiner Mensch!”
Kommission und Inspektion waren vergessen. Hier sah ein Mensch einen eben geborenen Menschen, einen kleinen. “Aber”, sagte er, “das ist kein Arbeiter. Ein Arbeiter ist ein Arbeiter und muss aussehen wie ein Arbeiter. Dein Arbeiter ist ein Arbeiter mit dem Kopf eines Intellektuellen. “Auch wir waren Arbeiter geworden. Die Arbeit war hart, aber wir sahen nicht aus, wie der kleine General es verlangte. Mein Arbeiter hatte einen Spaten, aber der Kopf passte nicht zu ihm, er war wie wir.
Keine Strafe also, von nun an bereicherte ich die kleine Künstlerstube, ein winziges Atelier in einer Baracke ” über Tage “mit echtem Tageslicht. Ein Anstreicher, der liebliche Landschaften und hübsche Mädchen mit Blumen und riesige Stilleben mit großen Melonen malte, ein Dreher aus dem Erzgebirge, schnitzend seit seiner Jugend und ein alter Herr aus Österreich, der wohl nur versehentlich hierhergeraten war und niedliche Röschen aus Ton auf wohlgeformte Vasen modellierte, waren meine künftigen Kunstgenossen.
Mag sein, daß ich nur am Leben blieb, weil dieser Zufall mir die harte Arbeit außerhalb des Lagers ersparte. Figuren entstanden, Vasen mit Ornamenten, die überaus beliebt waren bei den sich kindlich darüber freuenden, inzwischen Sieger gewordenen Bewachern. Eine große Anzahl Portraits und Bilder malten wir mit primitivsten Farben, meistens auf Holz, seltener auf knapper Leinwand. Meine Plastiken mussten einen in der Stadt lebenden russischen Bildhauer beeindruckt haben, denn es kam ein Auftrag, für das Museum dieser relativ großen Stadt ein paar Reliefs zu gestalten.
Die Begegnung mit diesem Bildhauer, einem ehemaliger Zehnkampfmeister im Sport, dem der unselige von uns ausgegangene Krieg ein Bein raubte, hatte eine besondere Bedeutung für mich. Sein Atelier stand in krassem Widerspruch zu unserem winzigen, in dem wir vier zusammenhockten. Ein riesiger Raum mit großen Fenstern, Figuren in großer Zahl auf Böcken manche noch mit Tüchern verhüllt, noch in Arbeit. überraschend aber seine Herzlichkeit. Kein Hass, keine Verachtung, hüpfte er auf seinen Krücken durch sein Atelier, dies Tuch lüftend, jene Figur drehend, mein Urteil erwartend.
Hier fand ich, wenn auch nur für die kurze Zeit unserer Zusammenarbeit einen liebevollen, nur ein wenig älteren Lehrer, der mir ein großes Stück meines früheren Glaubens an die Kunst zurückgab. Ich lernte zu zerstören, was nicht ungewöhnlich ist. Belangloses verträgt die Kunst nicht, tötet sie und am Ende den Künstler.
Zu der Zeit gab es für uns im Tausendjährigen Reich erzogenen jungen, allzu jungen Menschen weder Impressionismus noch Expressionismus, keinen Dadaismus, Surrealismus oder andere Ismen. Abstrakt hatten wir nie gehört. Die Kunst dem Volke. Die Plattheit war Trumpf, wurde uns zur Kunst gemacht. Kunst war im Tempel , der Tempel stand in München, der ” Führer ” bestimmte, was Kunst war, auch er ein Anstreicher.
Dieser junge russische Bildhauer gab sein ganzes Gefühl, seine Liebe, machte sie durch die Plastik sichtbar. Mit primitivsten Mitteln lösten wir Probleme. Bronze gab es nicht. Aus Not wurde imitiert , was technisch war. Künstlerisch aber verlangte er das Äußerste, die ganze Existenz.
Die Reliefs hängen wohl heute noch in jenem Museum. Dieser Bildhauer und ein junger Graphiker- wie er im Museum beschäftigt, wollten mich nach Moskau schicken, zur Akademie. Ich wäre heute nicht hier.
Der Zufall brachte mich nach Deutschland zurück.
Ein verboten gemaltes Bild, vor dem unbemerkt eintretenden Lagerkommandanten eben noch verborgen, ließ mich erblassen. Der Schrecken machte mich weiß wie die Wand. Mein Glück. Er sagte : “Du bist krank, Du kehrst zurück nach Deutschland “. Dieser tatsächlich kunstsinnige Mann liebte die Bilder, die Skulpturen, die Vasen. Ein schwerer Entschluß, mich fortzulassen. Dennoch, er dachte an mich . Ich bin ihm dankbar.
Der erste Schritt in Deutschland war wie eine Geburt, eine zweite Geburt. Der erste Schritt, ohne um Erlaubnis fragen zu müssen. Das Studium der Malerei nahm mich gefangen. Skulpturen entstehen nur dann und wann. Gewaltig waren die Verführungen. Abstrakt, ungegenständlich war erlaubt, der Gegenstand, der sichtbare Mensch waren tot.
Ich liebte den Menschen, er war nicht tot, er war um keinen Preis tot. Der Krieg war vorbei. Es lebe der Mensch. Ich glaubte an die Vernunft, ich glaubte an die Liebe. Der erste Schritt war der wichtigste. Ich zog die Schuhe aus. Barfuß begriff ich die Erde, beging sie, tastete Sand, Stein, Gras. Wir nahmen den Kampf auf, den friedlichen Kampf für den Menschen ohne Gewalt. Der Mensch, der Gegenstand waren nicht zu vertreiben.
Viele Jahre später entsteht erneut Plastik. Ein Mensch, ein kleiner Mensch, jede Skulptur entsteht mit dem gleichen erregenden Vibrieren des Gefühls. Plastik erschließt Raum, den Malerei nicht erzeugen kann, nur Illusion. Beides ist faszinierend. Motive verschmelzen, Gestaltung nicht, ist autonom. Eine Entscheidung gab es für mich nicht, gibt es nicht. Eine Frage der Begabung. Kein Widerspruch, aber Erweiterung. Maler modellierten, Bildhauer malten. Seit Jahrhunderten. Berühmte auch in neuerer Zeit: Matisse, Picasso, Renoir, Marini.
Frühe Träume erfüllen sich, das Alter reduziert Erwartungen, vertieft die Selbstkritik. Freunde ersetzen ein Volk, das Kunst nicht braucht, sie nicht schätzt, als überflüssig empfindet. Kein Traum, keine Phantasie. Bescheidenheit ist Reichtum. Die Kunst ist absolut.
Gedanken über einen Weg zur Plastik
Man spricht heute, wenn man an plastische Kunst denkt, von Konstruktionen Objekten, Assemblagen oder Environments u. deutet damit die erweiterten Möglichkeiten an, mit denen Raum ausgelotet werden soll. Ganz anders in der Zeit der berühmten 20er Jahre.
Alle diese Begriffe existierten noch nicht, schon gar nicht in meinem vierjährigen Dasein. Ich fing schon früh an, meine nähere Umgebung durch Kritzeleien unsicher zu machen. Ein Objekt war die glänzend schwarzlackierte u. mit goldenen Ornamenten verzierte Singer- Nähmaschine, die im elterlichen Wohnzimmer stand u. mich reizte, mit einer teuren Nähnadel Figuren in den Lack zu ritzen. Oma fand auf ihr Platz — sie konnte so schön singen — und Opa, der seinen mächtigen Schnurrbart nächtens aus einem mir unerfindlichen Grunde mit einer Bartbinde festmachte, deren Bänder um die Ohren gewickelt wurden. Seine vielen gekräuselten Haare füllten einen Teil der schwarzglänzenden Fläche. — Verständlicherweise hatten die Eltern wenig Sinn für dieses Kunstwerk, wo sowieso nur Musik in unserem Haus ernstgenommen wurde. Auch die morgendliche Buchweizengrütze, die mir ein Greuel war, und die wir, meine wenig ältere Schwester u. ich auf einem hohen Sofa ‚behängt mit Spitzen feinster Art, sitzend, essen mußten, bekam ihren Reiz nur dadurch, daß sich mit dem dunkelbraunen Sirup Figuren darauf träufeln ließen.
Vier Jahre alt, bewohnten wir eine kleine Wohnung in einem sehr alten Haus in einer sehr alten Straße mit vielen solchen alten Häusern mitten in einem sehr alten Stadtteil Hamburgs. Treppen wie Hühnerstiegen steil, führten in die Zweizimmerwohnung mit entsetzlich kleiner Küche. Ein hoher Torweg führte in die Hinterhäuser, in denen alles noch viel kleiner war u. noch billiger. Hier in diesem Torweg, der gewöhnlich unser Spielplatz war, erfuhr ich so etwas wie eine Berufung zum Bildhauer.
Meine Schwester durfte schon in das große Schulhaus gehen, wo ein riesiger Elefant ausgestopft im Treppenhaus stand. Traurig hockte ich im Torweg. Ein Hund hockte sich vor mich hin und machte sein Häufchen. Fasziniert starrte ich auf diesen kleinen Turm der da kerzengerade stehen blieb. unten ein wenig geringelt, glich dieser Haufen einer Matrone mit geblähten Röcken. Obendrauf hatte sich die Spitze ein wenig geringelt, als wären Kopf u. Haare entstanden. Meine totale Hinwendung zum gegenständlichen schien vollkommen. Abstrakte Gedanken kräuselten die Wellen meines kindlichen Bewusstseins nicht, kein Objekt war hier entstanden, sondern ein kleiner Mensch. Noch heute befällt mich das gleiche erschauernde Gefühl, wenn es mir gelingt, ein kleines Menschlein aus Ton erstehen zu lassen. Tagelang versuchte ich damals, das Hundekotmenschlein nachzuformen. In späteren Jahren wurde manche Rinde, manches Stück Holz zu Liegenden, Sitzenden oder auch nur zu Schachfiguren.
Das Schulpult, wir saßen eingeklemmt zwischen Bank u. Pult, die fest miteinander verbunden waren, sah bald aus wie ein Acker, mit Bauern, Hühnern u. Vögeln, die ich hineingeschnitzt hatte. Hier half nur die Phantasie u. ein glücklicher Zufall, der mir einen sehr musischen Lehrer bescherte — lebte ich doch nur zwischen Kauern und steinernen Torbögen u. Straßen — die Figuren zu erfinden, zu schnitzen u. am Ende nicht einmal bestraft zu werden dafür, wie es mir später erging, als die Nazis ihn fortgeholt hatten.“Narrenhände beschmutzen Tisch und Wände” mußte ich dann viele Male schreiben. Mit dem Fortgang dieses Lehrers, mit dem ich glückliche Geigenstunden erlebte, begrub. ich damals meinen brennenden Wunsch, Musiker zu werden.
Nun begann eine recht traurige Zeit. Zackige Lehrer, Rohrstock u. Strafarbeiten verdunkelten von nun an den Rest meiner Schulzeit. meine Pultschnitzereien brachten mir eine 4 im Zeichnen ein. Ich träumte vor mich hin, zeichnete wann ich konnte für mich allein, und wenn ich etwas Papier vom Großvater bekam.
Ein Schatten war auf mein Leben gefallen. Ich erlebte die folgende Zeit mehr im Traum, der mich beschützte. Ich träumte davon, gegen alle Widerstände einmal ein großer Künstler zu werden, zu dem die, die mich quälten, aufblicken mussten.
Heller waren nur die Abende, in denen ich damals schon als 10jähriger zum Zeichnen in die Kunstschule gehen durfte.
Damals zeichnete ich den ganzen Requisitenraum leer. Ein Gerippe ebenso wie eine ausgestopfte deutsche Dogge, ein lädiertes Kruzifix, eine sich mächtig blähende Eule und viel anderes Getier. Ich zeichnete schnell und konzentriert. Die erwies sich aber als Fehler, denn übrig blieben nun nur noch die in Gips nachgegossenen Köpfe, Reliefs und griechischen Figuren, und schließlich blieb auch ich weg und war wieder für mich allein. Allein, bis sich eine kleine Gruppe jüngerer Künstler für mich interessierte. Bei diesen erlebte ich eine Welt, mit dem der bei uns im Wohnzimmer hängende Druck der Toteninsel von Böcklin, ein damals höchst beliebtes Bild — man fühlte sich bei Freunden immer gleich zuhause, weil’s auch dort hing, in keiner Weise konkurrieren konnte.
Ein verwirrender Dachboden, zahllose Türen, überall Ateliers, große Fenster, aus denen sich ein Panorama der ganzen Stadt erblicken ließ und ein Sofa, auf dem ein karminroter Teppich ausgebreitet lag, ein später oft von mir gemaltes Motiv, versetzten mich in einen traumhaften Zustand. Bei diesem lustigen Völkchen erlebte ich zum ersten Mal, dass meine Bilder ernst genommen wurden. Sie nahmen mich, obwohl viel zu jung, ein Jahrzehnt trennte uns, in ihren Kreis auf. Dieses Glück dauerte nicht lange. Die vorgesehenen Stunden des Aktzeichnens, an denen ich teilnehmen sollte, gefielen meinem Vater gar nicht. Er sah mich wohl schon in großer Verkommenheit mit brotloser Kunst, wie er meinte, auf irgendeinem Dachboden verhungern. Auch stand dies seinen Plänen im Wege, aus mir einen Architekten zu machen. Also ließ er mich kurzerhand von einem renommierten Architekten prüfen, bei dem mir aber nichts besseres einfiel, als ihn und alle seine Mitarbeiter zu ihrem großen Entzücken zu portraitieren. Sie sahen schnell ein, dass in mir ein Maler verloren gegangen wäre und schenkten mir zum Abschied einen Ölmalkasten, der mich sehr glücklich, meinen Vater aber missmutig machte.
Während der Jahre meiner Kunstschulabendzeichnerei streunte ich heimlich, wenn der Professor sich für eine Weile in sein eigenes Atelier zurückgezogen hatte, durch die vielen Schülerateliers. Ich sehe noch deutlich die naturalistischen, glatten, glänzenden Bilder vor mir, deren Vorbilder die damals berühmten Künstler des Tausendjährigen Reiches waren. Hier hingen versammelt die kleinen Ziegler, die Padua, die Sepp Hilz. Die pflügenden Bauern im Abendrot, die Mütter am Herd, die Babys säugend, die Hitlerjungen und die liegenden und stehenden Akte mit strammen Schenkeln. Verwirrender und bedeutend interessanter die Bildhauer-Klassen. Nicht die großen, nach Thorak und Breker aussehenden, sondern die kleinen Figuren fesselten mich. Auf dem Boden, auf den Regalen lagen und standen Köpfe, Beine, Bäuche und einige rätselhafte Formen, die gar nichts zu bedeuten schienen. Hier hätte ich zeichnen mögen, aber das war verboten, und wir waren ja zum Gehorsam erzogen worden. Die folgende Zeit liegt für mich, was die Bildhauerei betrifft, ein wenig im Dunkeln. Für “Führer und Vaterland”, mir damals schon recht nebulöse Begriffe, opferte ich einen beträchtlichen Teil meiner Jugend.
Die nächste Figur, an die ich mich erinnern kann, entstand in einer Erdbaracke in Sibirien, wohin mich der “Vaterlandsdienst” verschlagen hatte. Krank geworden, war ich für ein paar Tage tagsüber allein in diesem dunklen, unterirdischen Raum. Eine winzige Glühbirne erhellte notdürftig den kleinen Platz in einer Ecke, an dem ich mit Ton, den ich aus der Töpferei des Lagers gestohlenen hatte, eine etwa 2o cm. hohe Figur formte
Es gelang mir nicht mehr, alles zu verbergen, als der Kommandant vor mir stand, ein kleiner russischer General, der mit einer Kommission das Lager inspizierte. Bestrafung für den Ton- Diebstahl gewärtigend, Essenentzug und Strafarbeit, vielleicht Karzer, war ich überaus betroffen. Doch statt mich zu bestrafen, staunte dieser Herr, klatschte in die Hände und rief: ” ein kleiner Mensch, ein kleiner Mensch!” Kommission und Inspektion waren vergessen. Hier sah ein Mensch einen eben geborenen Menschen, einen kleinen. “Aber”, sagte er, “das ist kein Arbeiter. Ein Arbeiter ist ein Arbeiter und muss aussehen wie ein Arbeiter. Dein Arbeiter ist ein Arbeiter mit dem Kopf eines Intellektuellen. “Auch wir waren Arbeiter geworden. Die Arbeit war hart, aber wir sahen nicht aus, wie der kleine General es verlangte. Mein Arbeiter hatte einen Spaten, aber der Kopf passte nicht zu ihm, er war wie wir.
Keine Strafe also, von nun an bereicherte ich die kleine Künstlerstube, ein winziges Atelier in einer Baracke ” über Tage “mit echtem Tageslicht. Ein Anstreicher, der liebliche Landschaften und hübsche Mädchen mit Blumen und riesige Stilleben mit großen Melonen malte, ein Dreher aus dem Erzgebirge, schnitzend seit seiner Jugend und ein alter Herr aus Österreich, der wohl nur versehentlich hierhergeraten war und niedliche Röschen aus Ton auf wohlgeformte Vasen modellierte, waren meine künftigen Kunstgenossen. Mag sein, daß ich nur am Leben blieb, weil dieser Zufall mir die harte Arbeit außerhalb des Lagers ersparte. Figuren entstanden, Vasen mit Ornamenten, die überaus beliebt waren bei den sich kindlich darüber freuenden, inzwischen Sieger gewordenen Bewachern. Eine große Anzahl Portraits und Bilder malten wir mit primitivsten Farben, meistens auf Holz, seltener auf knapper Leinwand. Meine Plastiken mussten einen in der Stadt lebenden russischen Bildhauer beeindruckt haben, denn es kam ein Auftrag, für das Museum dieser relativ großen Stadt ein paar Reliefs zu gestalten.
Die Begegnung mit diesem Bildhauer, einem ehemaliger Zehnkampfmeister im Sport, dem der unselige von uns ausgegangene Krieg ein Bein raubte, hatte eine besondere Bedeutung für mich. Sein Atelier stand in krassem Widerspruch zu unserem winzigen, in dem wir vier zusammenhockten. Ein riesiger Raum mit großen Fenstern, Figuren in großer Zahl auf Böcken manche noch mit Tüchern verhüllt, noch in Arbeit. überraschend aber seine Herzlichkeit. Kein Hass, keine Verachtung, hüpfte er auf seinen Krücken durch sein Atelier, dies Tuch lüftend, jene Figur drehend, mein Urteil erwartend. Hier fand ich, wenn auch nur für die kurze Zeit unserer Zusammenarbeit einen liebevollen, nur ein wenig älteren Lehrer, der mir ein großes Stück meines früheren Glaubens an die Kunst zurückgab. Ich lernte zu zerstören, was nicht ungewöhnlich ist. Belangloses verträgt die Kunst nicht, tötet sie und am Ende den Künstler.
Zu der Zeit gab es für uns im Tausendjährigen Reich erzogenen jungen, allzu jungen Menschen weder Impressionismus noch Expressionismus, keinen Dadaismus, Surrealismus oder andere Ismen. Abstrakt hatten wir nie gehört. Die Kunst dem Volke. Die Plattheit war Trumpf, wurde uns zur Kunst gemacht. Kunst war im Tempel , der Tempel stand in München, der ” Führer ” bestimmte, was Kunst war, auch er ein Anstreicher.
Dieser junge russische Bildhauer gab sein ganzes Gefühl, seine Liebe, machte sie durch die Plastik sichtbar. Mit primitivsten Mitteln lösten wir Probleme. Bronze gab es nicht. Aus Not wurde imitiert , was technisch war. Künstlerisch aber verlangte er das Äußerste, die ganze Existenz.
Die Reliefs hängen wohl heute noch in jenem Museum. Dieser Bildhauer und ein junger Graphiker- wie er im Museum beschäftigt, wollten mich nach Moskau schicken, zur Akademie. Ich wäre heute nicht hier.
Der Zufall brachte mich nach Deutschland zurück.
Ein verboten gemaltes Bild, vor dem unbemerkt eintretenden Lagerkommandanten eben noch verborgen, ließ mich erblassen. Der Schrecken machte mich weiß wie die Wand. Mein Glück. Fr sagte : “Du bist krank, Du kehrst zurück nach Deutschland “. Dieser tatsächlich kunstsinnige Mann liebte die Bilder, die Skulpturen, die Vasen. Ein schwerer Entschluß, mich fortzulassen. Dennoch, er dachte an mich . Ich bin ihm dankbar.
Der erste Schritt in Deutschland war wie eine Geburt, eine zweite Geburt. Der erste Schritt, ohne um Erlaubnis fragen zu müssen. Das Studium der Malerei nahm mich gefangen. Skulpturen entstehen nur dann und wann. Gewaltig waren die Verführungen. Abstrakt, ungegenständlich war erlaubt, der Gegenstand, der sichtbare Mensch waren tot.
Ich liebte den Menschen, er war nicht tot, er war um keinen Preis tot. Der Krieg war vorbei. Es lebe der Mensch. Ich glaubte an die Vernunft, ich glaubte an die Liebe. Der erste Schritt war der wichtigste. Ich zog die Schuhe aus. Barfuß begriff ich die Erde, beging sie, tastete Sand, Stein, Gras. Wir nahmen den Kampf auf, den friedlichen Kampf für den Menschen ohne Gewalt. Der Mensch, der Gegenstand waren nicht zu vertreiben.
Viele Jahre später entsteht erneut Plastik. Ein Mensch, ein kleiner Mensch, jede Skulptur entsteht mit dem gleichen erregenden Vibrieren des Gefühls. Plastik erschließt Raum, den Malerei nicht erzeugen kann, nur Illusion. Beides ist faszinierend. Motive verschmelzen, Gestaltung nicht, ist autonom. Eine Entscheidung gab es für mich nicht, gibt es nicht. Eine Frage der Begabung. Kein Widerspruch, aber Erweiterung. Maler modellierten, Bildhauer malten. Seit Jahrhunderten. Berühmte auch in neuerer Zeit: Matisse, Picasso, Renoir, Marini.
Frühe Träume erfüllen sich, das Alter reduziert Erwartungen, vertieft die Selbstkritik. Freunde ersetzen ein Volk, das Kunst nicht braucht, sie nicht schätzt, als überflüssig empfindet. Kein Traum, keine Phantasie. Bescheidenheit ist Reichtum. Die Kunst ist absolut.